Die fünf Stufen des Alkoholgenusses
Stufe 1
Ein normaler Werktag, sagen wir Mittwoch, 23 Uhr. Du hattest ein paar Bier, willst eigentlich jetzt nach Hause gehen, denn du musst ja am nächsten Morgen früh raus, zur Arbeit, da gibt
jemand noch eine Runde. Ein Selbständiger, nicht Angestellter und du sagst: Ach, komm, so lang ich noch sieben Stunden Schlaf hab, ist das okay.
Stufe 2
Null Uhr. Du hattest noch vier Bier und hast gerade angeregt 20 Minuten über Kunstrasen diskutiert - du warst dagegen - du willst eigentlich jetzt wieder nach Hause, denn dein Schutzengel
sagt: Hey, geh' jetzt, musst morgen zur Arbeit! Aber da erscheint auf deiner rechten Schulter das kleine Teufelchen und sagt: Nein, es ist gerade so lustig. Und 'ne super Clique hier. Komm
bleib noch! Solang du noch sechs Stunden Schlaf hast, ist das okay.
Stufe 3
Ein Uhr. Du hast mit Biertrinken aufgehört - zu Gunsten von Tequila. Du hast gerade wieder 20 Minuten leidenschaftlich über Kunstrasen diskutiert - du warst dafür - darüber hinaus bist du
der Ansicht: Die Kellnerin ist die schönste Frau der Welt. Du möchtest überhaupt die ganze Menschheit nicht nur umarmen, sondern erlösen. Auf dem Weg zum Klo gibst du dem unbekannten Gast
am Ende des Tresens einen aus, einfach weil dir sein Gesicht gefällt. Auf'm Klo kriegst du einen Lachflash, denn da steht ein neuer Spruch an der Wand, den du noch nicht kanntest:
"Lieber in der Kaiserin als Imperator". Du gibst dich Phantasien hin, wie: Wenn wir uns eine eigene Kneipe kaufen würden, könnten wir für immer zusammenleben.
Stufe 4
Zwei Uhr, letzte Bestellung. Du bestellst eine Cola und eine Flasche Rum. Du fühlst dich wie Kunstrasen. Auf dem Weg zum Klo möchtest du dem unbekannten Gast am Ende des Tresens eins in
die Fresse haun', weil dir sein Gesicht nicht gefällt. Beim Händewaschen machst du den Fehler, in den Spiegel zu schauen! Du sagst: Wer ist das denn? Dann stösst du den alten Mann zur Seite
und sagst: Gott sei Dank!
Stufe 5
Du beschliesst, nach Hause zu gehen - unmittelbar nachdem du rausgeflogen bist. Zuhause fällt dein Blick auf eine viertel volle Flasche Ouzo, die du umgehend zu dir nimmst. Anstatt jetzt
ins Bett zu gehen, hast du eine grossartige Idee. Du legst die alte Leonard Cohen Platte auf, die du seit fünfzehn Jahren nicht gehört hast und dann stehst du mit geschlossenen Augen, auf
Socken, schwankend, die Ouzoflasche in der Rechten, in der Mitte des Raumes, singst das Lied mit: Susaa, takes you down to the place near the river. Und während dir die Tränen in Bächen die
Wangen hinunterlaufen und du auf einer Woge des Gefühls davongetragen wirst, wird dir eins klar: Du bist nicht betrunken, vielleicht ein bisschen angebrütet, aber in guter körperlicher und
seelischer Verfassung, dafür dass es halb vier Uhr morgens ist und die Nachbarn von unten an die Decke klopfen. Nachdem du, bei einem halben Liter Lambrusco, noch ein bisschen in
alten Fotoalben geblättert hast, beschliesst du, deine Ex-Freundin anzurufen. Du hast sie fünf Jahre nicht gesehen, weisst nur, sie hat mittlerweile zwei Kinder und ist mit einem Polizisten
verheiratet, der das Telefonat auch entgegennimmt und ein bisschen ungehalten reagiert, als du sagst: Ich liebe sie, sagen Sie ihr das. Ich werde die Kinder adaptieren, Arschloch! Du
beschliesst, ihr einen Brief zu schreiben, ach einen Brief, ein Gedichtzyklus und du willst ihn nicht der Post überlassen, du willst ihn persönlich noch in dieser Nacht überbringen, bei der
Gelegenheit den Polizisten zusammenschlagen und mit ihr und den Kindern ein neues Leben in Neuseeland beginnen, oder wenigstens in Berlin. Und während du dich für dieses Kommandounternehmen
mit einer Mischung aus Fernet Branca und Escorial Grün stärkst, fällst du endlich in eine barmherzige Ohnmacht. Du gehst am nächsten Morgen nicht zur Arbeit. Du wirst gegen 14 Uhr frierend
auf dem Teppich wach - dein Kater ist von einem anderen Stern - und du sprichst die magischen Worte:
NIE WIEDER ALKOHOL!
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